Die blanke Panik blitzte aus meinen Augen. So hatte ich mir das aber nicht vorgestellt! Ich saß wie ein verschrecktes Kaninchen auf einem kleinen Holzstuhl vor meinem Häuptling. Mitten im Kreuzverhör. Mein Bein zuckte kurz, ich war in der Versuchung, den Tisch umzuwerfen und zu rufen: „Nein! Ich hab keinen Bock auf die Scheiße!“ Aber ich war schon längst angekommen im Hamsterrad. Hatte nicht den Arsch in der Hose, den Tisch umzuwerfen. Und irgendwie brauchte ich es auch, das Hamsterrad. Auch wenn ich mir das nicht gerne eingestehen wollte. Ich hörte mich zustimmen, steckte mir dann den Mont Blanc Füller mit dem leuchtenden Pentagram auf der Spitze in meine Ader und unterschrieb mit meinem Blut den Arbeitsvertrag. Lebenslänglich. Der Häuptling lachte diabolisch, rieb sich die Hände und legte mir die obligatorische Eisenkugel des TVÖD an. Ich wollte weglaufen, schaffte das aber ungefähr so gut, wie mein fetter Kater auf dem Laminat von der Stelle kommt. Ich konnte ja auch nicht weg. Ich war doch ein Konsumjunkie und brauchte mein Auto! Es war ein Teil meines Schutzwalles gegen die Menschheit und gegen den Öffentlichen Nahverkehr. In der Nacht konnte ich zwar nicht schlafen, weil die Ohren wieder fiepten, aber ich hatte Blut geleckt.

„Du solltest aufhören mit dem ganzen Mist!“ flüsterte das Mirdochwurscht-Stimmchen. Ich rieb lieber mein verweintes Quetschauge weiter an meinem neuen iPod und bemitleidete mich bebauchpinselnderweise, weil sich das Rädchen um 5:15 wieder drehen würde. „Hey aber immerhin hast du Gleitzeit und die besten Arbeitskollegen, die man haben kann!“ quakte es von der anderen Seite. Das pflichtbewusste Stimmchen trat auf den Plan. Besonders schlimm war es nach dem Urlaub. Es war kein Unmut oder Klüngelei, es tat richtig weh wenn die Stempelkarte in die Stechuhr glitt. So wie Liebeskummer oder ein entzündeter Blinddarm. Ich jammerte auf ganz hohem Niveau herum. „Irgendwie peinlich, andere Menschen arbeiten für vier Euro die Stunde und du machst so nen Aufriss!“ flüsterte mein pflichtbewusstes Stimmchen. Aber ich war bockig wie ein kleines Kind, dem man sein Eis geklaut hatte. Lebenslänglich!

Ich suchte nach Auswegen. Ein eigenes Törtchencafé? Auf ewig durch Asien wandern? Einfach nichts tun? Kurz überlegte ich, mich nochmal an der Uni einzuschreiben. Aber wozu? Den ganzen Sowikram nochmal durchzukauen. Die Vorlesungen mit Leuten verbringen, die ständig „PLENUM!“ und „Darüber müssen wir diskutieren!“ schrien? Die abends stundenlang über der Formulierung eines möglichst intellektuell erscheinenden Facebookkommentars brüteten, während draußen die Welt an ihnen vorbeizog? Mich haben diese Leute schon in den Uniseminaren angekotzt. Die, die gerne über alles reden wollten. Und alles besser wussten. Die sich in Zweiergruppen gegenübersaßen und rumdiskutierten, die Theorien von all den klugen Menschen erbrachen. Die ganz tolle Ideen für den Weltfrieden hatten und sich genötigt fühlten, sich dann auch so anzuziehen, als ob sie der Weltfrieden in Person wären. Die dann von den Leuten, denen sie mit ihrem Helfersyndrom helfen wollten, leider nicht verstanden wurden, mit ihrem Gewäsch. Das wäre ja noch schlimmer als Arbeit! Mir schien das sonst so verhasste Hamsterrädchen plötzlich eine gute Alternative zu sein.

Ich malte mir meinen persönlichen 39 Wochenstunden langen Katastrophenfilm in der Farbe Endzeit-Ocker aus. „Wenn du hier nicht langsam rauskommst, wirst du die nächsten 40 Jahre jeden Morgen sechs Schritte zum Fenster gehen. Dann die Balkontür aufmachen. Den Anrufbeantworter abhören. Eine Tasse Kaffee und eine Kanne Tee zubereiten. Jeden Freitag Benjamin, den Büroficus mit einer Tasse Wasser gießen und deinen röchelnden Darth-Vader-Stiftehalter entstauben!“ erheiterte sich das Mitdochwurscht-Stimmchen über mein mangeldes Rückgrat. Ich würde wöchentlich die Fettfinger des Klientels mit einem Allzwecktuch aus dem Drogeriemarkt von meinem gräßlichen Ahornfurniertisch wischen. Von dem Tisch, der die magische Grenze zwischen frustriert arbeitend und frustriert vielleicht arbeitend war. Mit diesem idiotischen „Mahlzeit“ grüßen. Irgendwann im Endstadium des Bürodeliriums „Die Kollegin ist schon zu Tisch“ faseln. Wir würden gemeinsam alt und fett werden. Frustriert waren wir ja schon lange, das pflichtbewusste Stimmchen und ich. Wir würden weiter auf die rettende Zombiepandemie warten. Oder auf den Feierabend. Irgendwann ein Haus mit Jägerzaun bauen. Innerlich schon gekündigt. Während das Mirdochwurscht-Stimmchen schon lange weg war und in einer verlausten Holzhütte auf einer einsamen Insel Fiesta Mexicana sang.

 

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Tagged: 39 Wochenstunden, Endzeit-Ocker, Fiesta Mexicana, , Gedanken zur Arbeit, Hamsterrad, Kündigen, Törtchencafé, Uniseminaren

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One Response

  1. Arne says:

    Gehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschongehtschon…

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