Der Verschleiß im Alter stellte sich langsam bei mir ein. Ich wachte an einem Samstagmorgen mit Fiepen in den Ohren auf. Einfach so. Am Abend wurde das ganze doch etwas nervig, so dass ich mich wenig später zwischen betrunkenen und vollgekotzten Menschen in der Notaufnahme der Städtischen Kliniken wiederfand. Die Ärztin, eine waldschratige Frau mit zerzausten Haaren und einer Brille, die heute schon als retroschick durchgehen würde, lispelte: „Ja das sieht nach einem Tinnitus aus. Ich bin nicht für für Tabletten, kaufense sich ne Pulle Rotwein, ist auch durchblutungsfördernd!“ Ich konnte mein Glück kaum glauben. Saufen auf Rezept! Ich stapfte mit meinem Herzblatt in den nächsten Kiosk, um mich mit einer Flasche feinstem Tropfen für drei Taler in einer Selbstmedikation zu versuchen. Zu Hause angekommen, süppelte ich mit meinem Kater im Arm angestrengt Glas um Glas. Irgendwann wurde ich rührseelig, verdrückte ein paar Tränchen wegen dem Weltfrieden und so und fiel dann einfach hintenrüber. Am nächsten Morgen hatte ich zum Fiepen dann noch einen dicken Kopf bekommen. Ich verbrachte einen Großteil des Monats bei Ärzten, die mich durchleuchteten, verschiedene Wunderpillen verschrieben, mir beim „Einrenken“ die Wirbelsäule rausrissen. Die mich jeden Tag an den Tropf anschlossen und meine Arme irgendwann wie die eines Junkies aussahen. Es fehlte nur noch, dass irgendwer mit einer getrockneten Hühnerkralle über meinem Kopf herumfuchtelte. Nach knapp einem Monat war ich um ca. 350 € für diverse Medikamente und Privatleistungen erleichtert, das Fiepen ist dafür bis jetzt immer noch da. Ich überlegte, wer mir denn so auf die Ohren geschlagen haben könnte und hatte auch sofort einen Schuldigen gefunden. Mein zu betreuendes Klientel! Diese ständig nörgelnden Arschkrampen, die sich morgens mit detaillierten Durchfallanekdoten abmeldeten, weil sie nicht aufstehen wollten. Bei denen ich mich jeden Tag frage, wie sie überhaupt sprechen lernen und die letzten vierzig Jahre den Weg zum Supermarkt finden konnten, ohne dass ihnen das einer vorgekaut hat. Ich brauchte Urlaub. Für mindestens zehn Jahre.
Ansonsten war in Dortmund wieder nichts los. Die Stadt Dortmund hatte es den Nazipimmeln auch wieder richtig gezeigt und einen Regenbogen ans Nationale Zentrum pinseln lassen. Das hat alle Schiffschaukelbremser so sehr beeindruckt, dass sie ihre Gesinnung nochmal überdacht haben. Nicht. Ich suchte also lieber das Weite. Im Rahmen meiner traditionellen Frühjahrsheimsuchung packte ich wieder meinen Trolly voller Lebensmittel (gute Butter, kerniges Vollkornbrot) und stattete meiner lieben Freundin einen Besuch in Paris ab. Ich besuchte ein Café, in dem eine Szene aus Inglorious Basterds gedreht worden war und schleckte unter den irritierten Blicken der versobten Pariser ein wenig von dem vermuteten Schweiß Brad Pitts von den schammeligen Linoleumbezügen der Sitzreihen. Später berichtete mir meine Freundin, dass dort lediglich Daniel Brühl gesessen habe, ich ob der Linoleumleckerei aber rausnahmsweise mal den Mund gehalten hatte. Sie wollte diesen Zustand nicht stören.
Weiter ging es zur Ausstellung von Tim Burton. Auch wenn ich ihm die Neuverfilmung von Planet der Affen mit dem markigen Mark eigentlich nie verzeihen konnte. Ich war begeistert! Und auch heilfroh, dass ich im Szene-Onlineshop das mir feilgebotene Romantic Bohèmian Parisienne Outfit nicht gekauft hatte, weil da keiner so rumgelaufen ist! Außer den Touris vielleicht. Aber die passenden Ankleboots konnte ich ja eh nicht tragen, da passen meine orthopädischen Einlagen nämlich nicht rein. In den Räumlichkeiten war das Fotografieren leider nicht erlaubt, der behaarte Kunstblockwart patroullierte in jedem Raum und mahnte mich mit seinem „Machst du ein Foto, renk ich dir die Wirbelsäule nochmal aus-Blick“. Ich hätte mich doch so gerne in das Kostüm von Edward mit den Scherenhänden gequetscht. Wegen Schweiß und so. Und außerdem liege ich mit meinem fetten Kater jedesmal Rotz und Wasser heulend auf dem Sofa, wenn die diebische Elster Winona Ryder mit Edward anbandelt. Ich dachte erst, dass Tim Burton für die informierte pariser Szene ja eh schon wieder zu banal wäre, aber es war so voll, dass man sich an fremden Menschen und ihrem nicht existenten Deodorant reiben musste. Kleine Eulenmädchen mit Pradataschen in der Ellenbeuge und Ray Ban Brillen schossen wahllos Zeichnungen mit ihrem iPhone ab. Diese verdammten Rotzgören! Wären Edwards Scherenhände nicht in einer Glasvitrine gesichert gewesen … das hätte ein Unglück gegeben!
Und weil ich noch nicht genug Pizzerienwein getrunken habe, gibt es eine weiteren Geschichtenabend zusammen meinem lieben Kollegen Mr. Pennywise.
„Armageddon in Aspik“
Heimat Hochfeld/Duisburg
04.05.12
20 Uhr
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