Von Oleksiy Radynski

Dies ist kein weiterer Text darüber wie die Nationalisten die ukrainische Revolution diskreditieren. Wie viele Andere kann ich beim besten Willen einen solchen Text nicht schreiben während Ukrainische Bürger durch die Hand der Miliz oder ihrer Handlanger getötet werden. Und wie viele Andere habe ich Probleme damit, dass Berichte über die nicht-prodemokratische Fraktion auf dem Maidan von westlichen Medien genau zu jenem Zeitpunkt allgegenwärtig wurden als der politische Terror seitens der ukrainischen Machthaber einen Höhepunkt erreichte. Wie konnte es dazu kommen, dass ein Problem, das man bereits seit den ersten Tagen des Euromaidan diskutierte, auf dem Radar westlicher Medien erschien als Putin und Janukowitsch es am dringendsten benötigten?

„Against Political Terror“. Kamera & Schnitt: Oleksiy Radynski (Kiew, 19.–22. Januar 2014)

Es ist zu spät, die Nationalisten dafür zu beschuldigen, den aufständischen Ungehorsam der Bevölkerung in ein Szenario zu verwandeln, dass der ukrainischen Macht in die Hände spielt; oder die Regierung dafür anzuklagen, dass sie die Nationalisten, die sie selbst heraangezüchtet hat, bequem ausnutzt.
Stattdessen ist es höchste Zeit, sich mit der westlichen Wahrnehmung der Konfrontation zu beschäftigen. Denn seit langem dominiert in den westlichen Medien ein schwarz-weiß-Bild der Welt, die außerhalb der Grenzen der Europäischen Union liegt; was einer Verachtung aller gleichkommt, die die gegenwärtige Situation in der Ukraine irgendwie betrifft. Das heißt im Grunde genommen jeder Bewohnerin Europas.
Vor ein paar Monaten sagten wir, dass auf dem Euromaidan nicht alles so rosig ist wie westliche Medien es sahen: dass nämlich mit der Frustration unter den Demonstrierenden auch die Hegemonie der Nationalisten zunähme. Sodann wurden wir als Konterrevolutionäre beschimpft oder gleich als Handlanger Putins bezichtigt. Die Beschädigung des allzuschönen Bildes der ukrainischen Revolution wie es westliche Partner und potenzielle Sponsoren hegten käme schließlich einem Spaltungsversuch der Identität und Einheit der Opposition gleich, hieß es. Wir müssten erst gemeinsam siegen, dann könnten wir uns auseinandersetzen.

„Why Violence?“. Kamera: Tomáš Rafa/ Schnitt: Oleksiy Radynski (Kiew, 24.–26. Januar 2014)

Im Laufe der Militarisierung des Majdans und seinem augenscheinlichen Drift in Richtung des Rechten Sektors zeigte sich, dass wir die Probleme nicht lange unter den Teppich werden kehren können; und dass nicht zwangsläufig derjenige ein Agent Putins ist, der eine unverhältnismäßige Präsenz der extremen Rechten auf dem Majdan erkennt, wie es die westlichen Medien tun. Ich sage „unverhältnismäßig“, denn die mediale Sichtbarkeit der rechten Kämpfer spiegelte nicht im Geringsten ihre tatsächliche Anzahl unter den Protestierenden wieder, die tatsächlich sehr marginal ist. Doch wer unter den Vertretern der „demokratischen Medien“ sollte sich darum scheren? Schließlich teilt sich die Welt östlich der EU-Grenze in „weiß“ – die demokratischen Aktivisten – und „schwarz“ – die autoritären Wilden an der Macht. Doch sobald die Situation etwas unübersichtlicher wird, greifen die unterkomplexen Muster und vertauschen sich ganz einfach die Rollen. Die „weißen“ werden zu den „schwarzen“, und nur die „braunen“ ändern die Farbe nicht.

„Who Are the Occupiers?“ Kamera: Ołeksandr Bojko, Maksim Sawczenko/ Schnitt: Oleksiy Radynski (Kiew, 10.–11. Februar 2014)

Die Hauptströmung der westlichen Rezeption der ukrainischen Proteste lässt sich in zwei Sätzen zusammenfassen. Dezember 2013: Ach, diese Ukrainer! Echte Europäer, so mutig und freidlich kämpfen sie für das Gute und gegen das Böse! Januar 2014: Oh, vielleicht haben wir uns wohl vertan, die haben doch Schlagstöcke, Bilder von Bandera und brennende Reifen, wir müssen nun schnell Putin verzeihen, dann rettet er uns vor diesem ukrainischen Mob.
Um den real existierenden Medienagenten des Kreml nicht zu widersprechen, werde ich ihre Bedeutung für das Entstehen dieser Art der Darstellung jetzt nicht erörtern (sie wurde im Übrigen en detail beschrieben). Der Grund dieser Rezeption ist die merkwürdige europäische Unfähigkeit, Sachverhalte wahrzunehmen, die nicht in unterkomplexen Kategorien wie „schwarz“ und „weiß“ zu fassen sind. Ich verstehe wirklich nicht, was mit Europa, der Heimat des dialektischen Denkens, los ist. Warum führt jeder noch so kleine Versuch, eine komplexe politische Lage darzustellen in den Gegensatz plus oder minus, weiß oder schwarz. Kommt das nicht möglicherweise von der Überzeugung, dass es allein im Westen alles sehr komplex ist, weil allein dort die rationale pluralistische liberale Demokratie herrscht – während im Osten augenscheinlich alles einfach, schwarz und weiß ist, weil man dort zu wenig liberal und demokratisch ist?

Oleksiy Radynski ist Redakteur der ukrainischen Ausgabe der polnischen Zeitschrift Krytyka Polityczna (Politische Kritik), auf deren Seite eine längere Version des Textes erschien. Er lebt als Autor und Filmemacher in Kiew.

Übersetzung aus dem Polnischen von Philipp Goll

Category: News, Relevanz, Uncategorized

Tagged: #Kiew, Euromaidan, Janukowitsch, Oleksiy Radinski, Putin, Ukraine

Share:

Leave a Reply

Recent Comments