Bathtub Scene


Georg erzählt mir, er habe sich von seiner Mutter getrennt. Schluss gemacht mit Hillu. Das ist jetzt fünf Jahre her. Sie wohnt noch immer in einer Kleinstadt in Brandenburg, er in Berlin. Sie telefonieren ab und zu, aber dabei bleibt es. Kein Besuch an Weihnachten, nicht am Geburtstag seiner Kinder. Er sagt, es sei besser so, und er sagt auch: „Ich bin geheilt.“ Er muss es wissen, denke ich, weil er als Psychiater arbeitet. Bevor er anfing, zu arbeiten, musste auch er selbst einer Psychotherapie zustimmen. Dabei habe er herausgefunden, was mit ihm los war. „Meine Mutter hat mir geschadet.“ Sie müsse doch genau gewusst haben, was sie mit ihm mache, als sie ihn nicht wie ein Kind behandelte. Es war alles zu eng.
Wenn ich heute Hillu auf Georg anspreche, sehe ich eine schluchzende alte Frau. Wenn ich heute Georg auf Hillu anspreche, wird er erst still und dann hektisch. Weil es ihn wohl nicht loslässt, dieses Verhältnis zu ihr. Und wenn ich die beiden älteren Brüder anspreche, dann zucken die ihre Achseln. Sie haben Georgs Problem mit ihrer Mutter nie wirklich verstanden.
Der Georg war schon immer komisch. Hat ihn die Mutter verhätschelt?
Aber er soll das nicht so eng sehen. Egal, was sie sagen, sie waren nicht dabei. Und was genau abgelaufen ist, wenn Mutter und Sohn allein waren, wollen sie auch nicht wissen.
Georg ist Hillus drittes Kind, der jüngste Sohn, der noch lange zuhause wohnte. Schon als Sechsjähriger war er das einzige Kind im Haus und durfte entscheiden, was die beiden am Wochenende unternehmen, Mutter und Sohn mal ganz allein. In die Pilze, zum FKK-Baden, später auch mal ein Wochenende nach Berlin. Der Vater war zehn Jahre älter als die Mutter und konnte nicht mehr gut laufen.
Auf den Ausflügen erzählte die Mutter ihrem Sohn auch, dass es nicht mehr klappe, zwischen den beiden. Sie sagte:„Im Bett läuft nichts mehr.“ Georg aber wollte seine Mutter glücklich sehen, die wichtigste Person in seinem Leben. Deshalb war es für ihn auch normal, dass sie kuschelten, wenn Hillu mal wieder nicht im Ehebett schlafen wollte.
Mehr war nicht.
Das Reden über „Körperlichen Missbrauch zwischen Müttern und Söhnen“ wird schnell hysterisch. Es gibt fast keine Studien, wenige Webseiten mit Foren, in denen die Söhne erzählen. Das liegt zum einen daran, dass er nur selten offensichtlich wird, der Missbrauch. Es kommt fast nie zu eindeutig sexuellen Handlungen, sagen Psychologen. Wenn es dazu kommt, ist der Missbrauch schwierig nachzuweisen, sagen die Anwälte. Außerdem wird er so gut wie nie bestraft, sagen die Richter. Ein Mann, der in Deutschland mit einem Mädchen unter 14 Sex hat, muss mit mindestens einem Jahr Gefängnis rechnen. Eine Frau, die einen Jungen unter 14 verführt, mit mindestens einem halben Jahr. Die Vorstellung, dass der Junge nicht doch zumindest Mittäter ist, ist allgemein akzeptiert.
Schließlich ist es Ödipus, der seine Mutter begehrt. Nicht umgekehrt. Der Komplex ist ein männlicher. Peter:

„Im Alter von zwölf Jahren habe ich mir die eine Hand gebrochen, die andere angebrochen. Meine Mutter musste mich baden. Während sie mich wusch, erzählte sie mir, wie lange sie mich früher gestillt habe. Ich hätte das so sehr gemocht, dass sie Pfeffer auf ihre Brustwarzen streute, damit ich die Lust verlor. Dann fragte ich sie, ob es stimme, dass ein älterer Cousin von mir unfruchtbar sei. Ich wollte wissen, was es bedeutet. Sie erklärte es mir und wusch meinen Schwanz dabei. Ich sagte: ‘Vielleicht bin ich auch unfruchtbar.’ Dann wurde mein Schwanz steif, die seifte ihn weiter ein, zog an meiner Vorhaut, weil sie ‘Eichel waschen’ wollte. Sie sagte fast lobend: „Das Ding ist so groß geworden!“ Ich kam sofort. Ich schämte mich. Meine Mutter sagte nur: „Na, jetzt wissen wir, dass Du nicht unfruchtbar bist.“
Ich kenne eine solche Badewannenszene aus einem Film mit Nicole Kidman. Im Film „Birth“ denkt sie, dass ihr verstorbener Mann im Körper des zehnjährigen Nachbarsjungen wiedergeboren wurde. Bis zum Ende des Films weiß man nicht, ob sie Recht hat, oder sich alles nur zurechtbiegt. Das ist zwar alles dämlich konstruiert, aber die Geschichte gipfelt in einem Bild:
Nicole Kidman küsst einen nackten Zehnjährigen in der Badewanne auf den Mund. Zärtlich. „Birth“ lief 2004 in Venedig beim Filmfestival. Nach der Premiere kommt die Starschauspielerin auf die Bühne. Während die Buhrufe immer lauter werden, lächelt sie stumm.
Zugegeben bei Georg und Hillu gab es wohl keine solchen Szenen. Kein direktes Anfassen, kein zweideutiges Abrubbeln nach dem Baden.
Georg war vielmehr ein vollwertiger Partner, begleitete Hillu auf Auslandsreisen, gewöhnte sich an ihre körperliche Nähe, wurde von ihr aufgeklärt, aber eher in einem Gespräch auf Augenhöhe. Wenn es der Mutter schlecht ging, blieb Georg zuhause, ging nicht mit Freunden aus.
Einmal sagt der heutige Psychiater Georg den Satz zu mir: „Kinder sind dazu verdammt, die unerfüllten Wünsche der Eltern auszuleben.“
Dann erklärt er mir, was er meint:
Seine Mutter habe sich selbst sexuell beschränkt. Also sollte er das nachholen. „Meine Mutter wollte also unbewusst, dass ich mit anderen Männern Sex habe.“
Georg hat das versucht, dachte lange, das sei eben so. Er ging in Clubs, die 90er in Berlin. SchwuZ, Busche, Heile Welt, war noch mit 28 Jahren für mehrere Monate mit einem sieben Jahre jüngeren Japanologen zusammen. Der war oft in Japan. Und wenn er in Berlin war, dann hat es nicht funktioniert „im Bett“: egal wie. Aktiv, passiv, OV, AV. Marco kriegte keinen hoch.
Jochen: „Meine Mutter hatte die Angewohnheit, sich nach der Arbeit im Wohnzimmer mit gespreizten Beinen auf dem Sofa zu räkeln und dabei ihre Möse zu zeigen. Wenn ich an ihr vorbeiging, wurde mein Blick unweigerlich zu diesem Teil ihres Körpers hingezogen. Ich konnte alles genau erkennen. Aber wenn sie mich ertappte, warf sie mir einen dermaßen bösen Blick zu, dass ich rot wurde, mich wahnsinnig schämte. Aber es geschah trotzdem immer wieder. Es war wie ein Ritual. Irgendwann habe ich dann pornografische, sexuelle Fantasien von meiner Mutter gehabt. Ich fühlte mich schlecht, dachte an ihren missbilligenden Blick. Ich bin jetzt 38 Jahre alt, es ist nie etwas passiert zwischen meiner Mutter und mir. Aber ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich selbst zu meiner Frau kein entspanntes sexuelles Gefühl entwickeln kann. Ich habe ihr das nie erzählt, sie würde das nicht verstehen.”
Es gibt für Jungen, die sich von ihren Müttern psychisch oder körperlich missbraucht fühlen, keine Anlaufstelle. Es gab mal eine in Berlin, aber die wurde geschlossen, auch in Zürich wurde sie geschlossen. Zu wenig Zulauf.
Im Internet sind Geschichten über Mütter zu lesen, die in der S-Bahn mit einem Sechsjährigen laut diskutieren, ob sie denn jetzt umziehen nach München. Das Kind ruft laut: „Ich will aber hier bleiben, Mama!“ Die Mutter: „Na gut, dann ziehen wir nicht um, ich krieg das schon hin.“ Oder eine Szene aus der Sauna, als im Ruheraum eine Mutter die Hand auf den nackten Schenkel ihres Sohnes legt, dann beide unter einer Decke kuscheln. Irgendwann steht das Kind auf und sagt: „Komm, Mama, lass uns gehen.“
Immer wieder fragen diese Beobachter: Ist das Missbrauch? Leidet das Kind darunter?
Natürlich sind es Ausnahmen. Rein statistisch sind drei Prozent aller sexuellen Straftäter Frauen, aber emotionaler Missbrauch ist so gut wie unmöglich, zu erfassen.
Vor allem dann, wenn eine Mutter alleinerziehend ist, kann es sein, dass sie beginnt, aus ihrem Sohn einen Vertrauten, Versorger, Beschützer und irgendwann auch Liebhaber macht. Er soll für sie da sein. Sie macht sich von ihm abhängig, besteht aber gleichzeitig auf seiner Abhängigkeit von ihr. Der Junge wiederum ist einerseits stolz, weil er schon als kleiner Mann ernst genommen wird – und andererseits ist er wütend, weil er immer wieder an seine unterlegene Rolle erinnert wird.
Nie kann er diese Gefühle vollständig befriedigen. Viele dieser Jungen sind später zu einer Beziehung nicht fähig. Oder sie brechen mit ihrer Mutter für immer. Wie Georg.
Als ich Georg wieder getroffen habe, war das in einem Kreuzberger Schwulencafé. Er hat so laut, dass es jeder im Raum hören konnte, gerufen: „Der Orgasmus einer Frau ist so unglaublich toll!“ Dann hat er erzählt, wie er Sabine kennen gelernt hat, nach der Therapie. Wie er sich jetzt ein Haus mit ihr bauen werde. Am Stadtrand. Und dass sie schwanger sei. Seine Mutter will er vorerst nicht sehen. Für Jahre. Er hat sie mit seinen Vorwürfen konfrontiert. Sie sei schuld daran, dass er jahrelang dachte, er sei schwul. Er war nie schwul. „Niemand muss schwul sein.“
Studien würden belegen, dass fast alle Homos irgendein „Ding mit ihrer Mutter“ zu klären hätten. Er hätte das jetzt gemacht. Ich solle darüber mal nachdenken.
Dann hat er noch einmal gesagt: Kinder sind dazu verdammt, die unerfüllten Wünsche ihrer Eltern auszuleben. Besonders Söhne. Meine Mutter hat mir erzählt, dass er inzwischen selbst zwei Söhne hat.
Ich: Ich hab ihn dann erst einmal nicht mehr angerufen und denke bis heute noch an diese Situation im Café. Der Orgasmus einer Frau und so. Weiß das ja selbst. Unglaublich. Wirklich. Klar. Und was hat das mit der Mutter zu hat. Mit meiner? Die Mutter, die einen vorne auf dem Fahrrad mitgenommen hat und die Fingernägel geschnitten hat. Die Mutter, die einmal mit einem Hausschuh auf den nackten Hintern klopft, bis der rot ist. Nur einmal allerdings. (Was hatte ich getan? Keine Ahnung.) Die Mutter, an deren Körpergeruch man sich als Kind schon gewöhnt hat, weil man eben doch zusammen Mittagsschlaf macht. Und dann irgendwann fällt mir doch eine ganz eigene Badewannenszene ein, die nur mir passiert ist und von der ich nur erzähle, dass ich sie dann beschimpft und rausgeschickt habe. Und gesprochen haben wir darüber auch nie. Aber das ist schon okay so. Dafür telefonieren wir jetzt immer sonntags. Wie sich das gehört in Familien. Ich bin nicht Georg. Und sie nicht Hillu.

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One Response

  1. jule says:

    der Artikel hat mich sehr berührt obwohl ich eine Frau bin..vielen Dank.

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