Eine Armee von grauhaarigen Eminenzen beginnt wie Aasgeier ihre Kreise um einen der Messestände zu ziehen. Mit ihren VIP-Vier-Tages-Tickets für diese Reha-Messe werden sie so lange bleiben, bis ihre Jutebeutel mit den grässlichen Werbeaufdrucken prallgefüllt sind mit noch fürchterlicheren Giveaways, die eigentlich keiner braucht. Und sollten die Beutel voll sein, gibt es irgendeinen Stand, der leere Jutebeutel verschenkt. Es ist ein Teufelskreis!Hinter einem Messestand stehe ich. Das gescheiterte Experiment, aus einer Katzenmutti mit einem Faible für Freizeitanzügen, einen seriös wirkenden Menschen zu machen. Ein bescheuertes Haarklämmerchen und ein zwei Nummern zu kleines Jacket haben das Schauspiel genauso wenig aufgewertet, wie der große Tomatensoßenfleck auf dem Bubikragen meiner weißen Bluse. Eigentlich sehe ich aus wie eine Mischung aus Norman Bates toter Mutter und einer irren Betschwester. Verrückt geworden bei dem Versuch, den Plastikwerbeschrott so zu einzuteilen, dass er für vier Tage reicht.

Es ist nicht so, dass es hier irgendjemand nötig hätte, sich mit Giveaways einzudecken, weil er nicht genug Geld hat. Im Gegenteil. Hier werden die Porsches unter den Hilfsmitteln feilgeboten, das Klientel ist gut betucht. Der gemeine Pöbel, der seinen Standard-Gehwagen ohne Blinklicht und mp3-Player von der Krankenkasse bekommt, hat hier nichts verloren. Die Aasgeier sind die, die ohnehin den Hals nicht voll kriegen. Oder was schlimmer wäre: Das andere den Hals vollkriegen könnten, bevor sie selbst nicht gekotzt haben.

„Ham´se dieses Jahr keine Kalender da?“ Das ist keine Frage, sondern die Aufforderung eines Klischeerentners (beigefarbene Oberbekleidung, braunkarierte Schiebermütze). „Wie, Sie haben keine Kalender mehr? Ich verschenk die zu Weihnachten immer! Was fällt Ihnen ein?“ Was auf den ersten Blick wie ein verzweifelter Bob Cratchit auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken wirkt, ist in Wahrheit ein abgebrühter Profi. An seinem AOK-Rolls Royce hängen mindestens 30 prallgefüllte Jutebeutel. Der Inhalt: knapp 5000 Schreibblöcke, ein halber Regenwald. An den Seiten der Taschen quellen Mousepads, Stressbällchen und Schlüsselbänder heraus. Mehr Schlüsselbänder, als ein Mensch Schlüssel in seinem gesamten Leben besitzen kann. Die Hosentaschen des Mannes sind bis zum Anschlag mit Kugelschreibern gefüllt. Zur Not kann man ja später den Schrott in die Botanik werfen. Hauptsache, kein anderer bekommt etwas ab!

Im Augenwinkel bemerke ich eine Bewegung. Durch zahlreiche Zombiefilme geschult drehe ich mich flink und in Abwehrhaltung herum. Zwei der grauhaarigen VIP-Tickets machen sich an der Dekoration zu schaffen. Frei nach Großmutter Shamways „Für lau – dann jau“ hält eine den unvermeidlichen Jutebeutel auf, die andere schüttet den kompletten Inhalt der Obstschale rein.

Ich blicke zu meinem letzten Kugelschreiber. Alle anderen haben sie in ihren Krokolederhandtaschen verstaut. Sogar meinen Edding und die Klammern für den Tacker. Alles ist weg. Nur die Broschüren, die haben sie mir am Stand liegengelassen. Infos über Katheter und Schnabeltassen sind seltsamerweise nicht der Hit.

„Können Sie mir den Blumenstrauß reservieren? Der ist bis morgen sowieso verwelkt!“ fragt eine Frau im neongrünen Strickpullover, während sie den Rest des Messestandes und mich mit ihren dicken Brillengläsern scannt. Zum Glück haben wir nicht dieselbe Kleidergröße, sonst würde ich heute nackt nach Hause gehen. „Möchten Sie sich nicht über unser Angebot informieren?“ – „Nee, das ist mir egal. Mich interessiert das hier gar nicht!“ – „Und was wollen Sie dann auf einer Reha-Messe? Schnorren? Bucklige Menschen angaffen und mit Erdnüssen bewerfen?“ Mein Augenlid flackert wie ein kleiner Kolibriflügel. Der Strickpullover rauscht beleidigt ab.

Während bei MTV ein überdrehter Xzibit Pimp my Ride moderiert, hat sich hier sogar echte Prominenz angekündigt. Harry „Der Preis ist heiß“ Wijnvoord, der Inbegriff des jugendlich-saloppen Lebensstils, präsentiert das Highlight des Tages: Pimp my Rolli. Findige Reha-Pädagogen reiben sich noch heute die Hände wegen dieser genialen Namensgebung. Mit fehlt irgendwie ein bemüht-lässiges „cool“ oder „trendy“ als Zusatz.

Kurz vor Feierabend hat sich mein gesamtes Blut komplett in meinen Medizinball großen Füßen gesammelt. Mit wird schwindelig. Der vergrätzte Kalender-Rentner wittert seine Chance, beschleunigt den Rollator und heizt auf mich zu. Er versetzt mir den finalen Stoß. Mein Kopf schlägt auf dem Messestand auf, Ohnmacht. Im Vorbeifahren grapscht er mir den letzten Kuli aus der Hand. „Und nächstes Jahr will ich gefälligst wieder meine Kalender haben, ist das klar?“ brüllt er und rauscht mit triumphal erhobenem Stift ab in den Sonnenuntergang.

 

 

 

 

 

 

 

Category: Magazin

Tagged: , Jutebeutel, Kalender, Kulli, Reha, Stressbällchen

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One Response

  1. Geronymo says:

    Schöner Artikel, vieles übertrieben. So nämlich ist es nicht erlebbar, höchstens an einem Stand, der infromativ nichts als leeres Stroh, oder eben nur Schaumschlägerei zu bieten hat.
    Werbhung, wenn die gute Dame das wirkloich exzellent macht, wäre für sie die Superschau “Altwarmbüchen rechts ran = Müllkippe” Bei allem Verständnis für Ironie und Humor – hier ist das Niveau unter die Gürtellinie gerutscht.

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