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Gegen ein Herzstück deutscher Ideologie

Christopher Strunz

Barbara Vinken ist eine feministische Autorin, die viele Texte über Mode, Liebe, Pornographie, dekonstruktiven Feminismus, Flaubert und die deutsche Mutter produziert hat. Zurzeit arbeitet sie als Literaturwissenschaftlerin in München. Barbara Vinkens Buch zum Thema Die deutsche Mutter, ist neben zustimmendem und bestätigendem Lob, auch harsche Kritik zugeteilt worden. Infrage gestellt wurde das tatsächliche Vorhandensein eines Dekonstruktivismus, zudem unternehme die Autorin in der Schreibweise lediglich den Versuch, sich dem populären Mütterfeminismus anzupassen.

In Differenz zur berechtigten Kritik – aus Sicht des dekonstruktivistischen Feminismus – stattet Barbara Vinkens Text beim eigenen Lesen das Konzept der Mutter anders aus, als man es aus repräsentativ deutscher Geschichte und gegenwärtigen Mainstream-Medien gewohnt ist. Barbara Vinken führt der kulturellen Geschichte vor, wie der Mythos deutsche Mutter gegenwärtig zustande gekommen ist. Es ist aus meiner Perspektive eine geschichtliche und rhetorische Arbeit. Vinkens Text kann als Intervention im Bezug auf das gesellschaftlich vorherrschende Konzept der Mutter in Deutschland gelesen werden, ohne automatisch eng an den im Medien-Mainstream vorgesehenen Diskurs für die Frau, also die optimale Vereinbarkeit von Kind und Karriere, geknüpft werden zu müssen. Diese Lesart fordert nicht, dem Text den polemischen Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie stellt einfach andere Sichtweisen auf Mutterschaft her, als die bereits bekannte und (geschichtlich bedingt) festgefahrene Vorstellungen von Mütterlichkeit in Frage zu stellen, sowie in Bewegung zu setzen. Christoph Strunz hat ihr einige Fragen gestellt.

Hate: Frau Vinken, worin besteht der Mythos der deutschen Mutter in der Gegenwart?
Vinken: In Deutschland glauben Frauen, dass beides, Karriere und Kinder nicht einhergehen können. Sie glauben, sich entscheiden zu müssen. Oder sie richten sich mit schlechtem Gewissen in der Zerrissenheit ein. Sie glauben nicht mit Kindern leben zu können, sondern für sie leben zu müssen.

Hate: Sehen Sie die politische Bestimmung ihrer Arbeit darin, mit Geschichte gegen die Wirksamkeit des Mythos anzugehen?
Vinken: Ja, zum einen mit Geschichte und zum anderen mit Empirie. Ich finde es sehr hilfreich, dass das alles keine Naturgesetze sind. Es geht auch anders – und für alle besser. Der Mythos, oder wenn Sie so wollen das Leitbild der Deutschen Mutter ist historisch gewachsen. Unsere Vorfahren haben anders mit ihren Kindern gelebt und unsere europäischen Nachbarinnen leben uns ganz selbstverständlich andere Modelle erfolgreich vor.

Hate: Das Thema deutsche Mutter setzt sich intensiv mit der Konstruktion nationaler Identität in der Kleinfamilie auseinander. Ist es der Versuch, Mutter und Familie gegenwärtig feministisch anders zu denken?
Vinken: Die deutsche Mutter hat die konfessionellen und nationalen Implikationen dieses geschichtlich gewachsenen Leitbildes herausgearbeitet. Ich finde, dass es an der Zeit ist, dieses im Ganzen nicht nur unsympathische, sondern auch unproduktive Leitbild hinter uns zu lassen. Es ist fremden- wie frauenfeindlich. Mutterschaft sollte Weiblichkeit nicht zerstören; den Preis, auch den der wirtschaftlichen Autonomie, sollten wir nicht bezahlen müssen, wenn wir Kinder bekommen. Insofern ist es ein feministischer Versuch.

Hate: Warum hat der Mythos deutsche Mutter einen langen Schatten?
Vinken: Weil Mentalitätenwandel sich in der longue durée abspielen. Und wir uns deshalb in einer schizophrenen, blockierten Situation befinden. Ein kleines Beispiel:. junge deutsche Frauen sagen, , dass sie selbstverständlich beides wollen: Kinder und einen erfüllenden Beruf. Gleichzeitig glauben dieselben jungen Frauen, dass Kleinkinder unter der Berufstätigkeit ihrer Mütter leiden, besonders wenn sie Vollzeit arbeiten. Eben das ist aber die conditio sine qua non für einen gelungenen Berufsweg. In Frankreich glauben gerade die Gesellschaftsbestimmenden Schichten, dass eine Ganztagskrippe für Ihre Kinder gut ist. In Deutschland sehen dieselben Schichten, die sich selbstverständlich für die Gleichberechtigung der Frau einsetzen, darin gegen jede empirische Evidenz einen Nachteil für das Kind. Et voilà.

Hate: In Ihrem Buch gibt es wiederholt Plädoyers für europäische Vergleiche. Sie weisen darauf hin, dass es andere Möglichkeiten von Mütterlichkeit gibt. Ist der Mythos der Mutter besonders in Deutschland ein Problem? Für den Feminismus? Für gegenwärtig in Deutschland lebende Frauen?

Vinken: Ja, er ist eines der entscheidenden Probleme für gegenwärtig in Deutschland lebende Frauen. Er verdammt sie dazu, nicht ganz Frau oder nur Frau zu sein. Im europäischen Vergleich befindet sich Deutschland in einer suboptimalen Lage: extrem geringe Geburtenzahlen und extrem große Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen. Das Leitbild “Deutsche Mutter” bringt viele Frauen dazu, ganz und gar überflüssig, auf Kinderglück, des Berufes willen zu verzichten. Und er bringt andere Frauen dazu, auf beruflichen Erfolg, mit dem ja auch Glück einhergehen kann, um der Kinder willen zu verzichten. Ein Blick nach Dänemark oder Frankreich würde uns zeigen, dass dieser Verzicht überflüssig ist. Ich finde überflüssiges Verzichten tragisch.

Hate: Würden Sie Ihren Text als Geschichte, politisches Plädoyer oder Analyse beschreiben?
Vinken: Mein Buch ist eine auf Textanalysen beruhende Geschichtsschreibung; das politische Plädoyer, das es selbstverständlich auch darstellt, ist Resultat dieser Analyse.

Hate: Thema Mutterschaft in der Unterschicht: Mütter mit Hartz IV. Sind die sozialen Umstände für Mütter in der Unterschicht in Deutschland schlechter als in anderen Ländern?

Vinken: Ja, weil hierzulande einfach nicht so viele Krippenplätze zur Verfügung stehen, und damit die Mütter oft gar keine Möglichkeit haben zu arbeiten. Hinzu kommt, dass die Kinderarmut auch deshalb so groß ist, weil ein Kind hierzulande oft das Wegfallen eines ganzes Lohnes bedeutet. Das ist durch nichts zu kompensieren.

Hate: Beschäftigt sich der Feminismus zu wenig, zu wenig differenziert mit dem Thema Mutter, Familie und der politischen Konstruktion nationaler Identität, wie im Volkskörper?
Vinken: Ja. In Deutschland haben die Feministinnen die Analyse des Leitbildes Mutter und die Folgen für die Frauen vernachlässigt. Historisch ist der deutsche Feminismus in zwei Stränge zerfallen: einen gemäßigten Mutterfeminismus und einen radikalen Gleichheitsfeminismus. Nach dem Krieg hat sich der Gleichheitsfeminismus nicht mehr um die Mütter gekümmert und der Mütterfeminismus ist nur noch hin und wieder in Pamphleten der Grünen aufgeflackert.

Hate: Wie können wir uns vom Mythos der deutschen Mutter emanzipieren?
Vinken: In Deutschland war man jedenfalls unter Frau von der Leyen dabei, die vierzigjährige Verspätung in der deutschen Familienpolitik zu erkennen. Wir hatten uns auf den Weg nach Europa begeben. Der heißt, Frauen auch als Mütter vorzüglich als Berufstätige anzusehen und ihnen eine Berufstätigkeit zu erlauben.

Hate: Wie gehen Sie seit Veröffentlichung von “Die deutsche Mutter” inzwischen mit ihrem Ruf um, als Ratgeber für deutsche Mütter angesprochen zu werden?
Vinken: Von vielen Frauen zu hören, dass mein Buch ihr Leben verändert habe, berührt mich Ich finde, dass ist das Schönste, was einem als Autorin passieren kann.

Hate: Würden Sie sagen, dass ihr Text im feministischen Diskurs der Gegenwart antideutsch ist?
Vinken: Zweifellos ist es gegen ein Herzstück deutscher Ideologie geschrieben – und in dieser Hinsicht sehr deutsch. Dass diese deutsche Ideologie sich ändern muss, dafür sehe ich einen breiten Konsens. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass auch Deutschland irgendwann mal ein europäisches Land wird, in dem nicht nur Mann, sondern auch Frau selbstverständlich Kinder und einen erfüllenden Beruf miteinander vereinen können.

Barbara Vinken: Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos. Erweiterte und aktualisierte Ausgabe. Fischer: Frankfurt am Main 2007.

Category: Magazin, Relevanz

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One Response

  1. [...] Barbara Vinken ist eine feministische Autorin, die viel über Mode, Liebe, Pornographie, dekonstruktiven Feminismus, Flaubert und die deutsche Mutter geschrieben hat. Im Interview mit ihr auf Hate geht es u.a. um den Mythos der deutschen Mutter. [...]

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