Im Dezember trennten mich nur noch zwei Dinge meinem Urlaub:  Eine besinnliche Weihnachtslesung und die obligatorische und  unvermeidliche Weihnachtsfeier auf der Arbeit. Bei der Weihnachtsfeier handelt es sich um eine freiwillige Teilnahme, zu der man vom Direktor mit der Bitte um zahlreiches Erscheinen persönlich in einem Serienbrief vorgeladen wurde. Wer kann im Hinblick auf einen befristeten Vertrag dazu schon nein sagen? Unsere Belegschaft ist völlig veraltet, so alt, dass alle in den nächsten drei Jahren in Rente gehen werden und man mit 29 Lenzen noch am Kindertisch sitzen und sich von bösen alten Krähenweibern als „das junge Ding“ titulieren lassen muss.

Zu der Feier kommen nicht nur alle Mitarbeiter mit befristeten Arbeitsverträgen, sondern auch alle Ehemaligen, die seit Christi Geburt in unserem Haus gearbeitet haben. Sie kriechen mit ihren Rollatoren den Vorplatz entlang und scharen sich wie ein Pulk von Zombies vor dem Eingang. In Anbetracht eines zünftigen Gratisessens lässt man sich da nämlich nicht lumpen. Ich dachte erst, ich wäre auf einer dieser Beerdigungsbutterfahrten gen holländische Grenze, aber nein, Oma hatte sich extra eine Dauerkrause beim Dorffrisör legen lassen, Opa einen neuen Kackbeutel an seinen künstlichen Darmausgang geschraubt. Die Türen der Aula schlossen sich, eine imaginäre Gefängnistür aus ausbruchssicherem Stahl knallte ins Schloss. Willkommen im Weihnachtsknast. Der Geruch von Old Spice und Tosca füllte innerhalb von Sekunden den Raum und brannte in meinen Augen, wenigstens fielen so meine dicken Krokodilstränen nicht weiter auf. Die Marketingabteilung hatte sich wieder besondere Mühe gegeben und für das filzige Publikum einen Showact der Superlative gebucht: Ein wild kreischender Mann mit einem Klavier, der es tatsächlich schaffte, den Saal innerhalb von 15 Minuten leerzuspielen.

Die voranschreitende Vorweihnachtszeit brachte mich sonst immer in Rage und Zeitdruck. Glücklicherweise hatte sich aber in diesem Jahr Familie Schweinemett nach der Beerdigung von Oma Schweinemett komplett zerstritten, so dass wir uns das heuchlerische Beisammensein einfach geknickt haben und jeder für sich alleine bockig und Schüppchen ziehend zu Hause saß. Ich verbrachte den Weihnachtsabend mit meinem Herzblatt, den Katzen und einer Auflaufform voller Crème Brûlée vor dem Fernseher  und sah alle Episoden von The Walking Dead, bis mich gegen drei Uhr morgens ein imaginärer Schraubendreher in meiner Stirn zur Aufgabe zwang.  Auch während der Feiertage guckten wir Endzeitfilme und aßen noch mehr Süßigkeiten, während der olle Papst mit seinem Gehwägelchen herumrollte, mehr Demut und Einfachheit forderte und mit seinem einfachen goldenen Kreuz über die Schafsköpfe seiner Schäfchen schwenkte. Das verlorene Schäfchen des Monats war übrigens die Theologin, die auf meiner Lesung fast angefangen hat zu weinen, da sie in mir den Satan erkannt hatte. Und für alle, die munkelten: Nein, ich habe sie nicht extra eingekauft.

Nach Weihnachten ließen die Menschen ihren Vorhang der Scheinheiligkeit fallen und taten wieder das, was sie am besten konnten: Waren umtauschen, Leuten in die Hacken treten und bettelnde Menschen angewidert angaffen. Einen Tag vor Silvester kam ich deswegen auf die unglaublich bescheuerte Idee, zu Ikea zu fahren, um mir einen neuen Küchenstuhl zu kaufen. Was man halt so macht, wenn die Menschheit sowieso schon Amok läuft. Ich würde glaube ich auch noch während einer Zombiepandemie losgurken, um mir ein Päckchen Glimma-Teelichter für ein lauschiges Endzeitambiente zu erplündern. Ich latsche also durch das Schwedenhaus, tausende Familien haben sich für die Reise ins kalte Schwedenland in ihre Jack-Wolfskin-Jacken geschossen und stapfen mit dicken UGG(ly)-Plüschstiefeln durch das nordisch frostige Schwedenland. Ein Mann brüllt seine Frau an: „Das wird nicht übergestrichen! Das sieht einfach nur Scheiße aus! Was hast du immer mit deinem beschissenen Streichen?“ Schön, dass nicht nur meine Nerven blank liegen. Wenigstens wurden alle Möbel, die ich noch benötigte, aus dem Programm genommen, wie auch die Türen von unserem Schlafzimmerschrank, weshalb wir nun offenes Wohnen in Reinform praktizieren und ich mir die fünf Kilometer lange Schlange an der Kasse sparen kann.

Ich fahre weiter ins Sammelbecken für den Kaffeesatz der Gesellschaft: Kaufland. Ich bin etwas enttäuscht, dass am Eingang nicht wie immer die hochschwangere Frau im Minirock steht und Zigarillos schmaucht. Ich vermisse sie.  Ich schlage mich am Feuerwerksstand mit einer Familie, die den Look der Gipsy Kings kopiert hat,  um die letzten Böller. Sie sind in der Überzahl. Mindestens zwanzig.  Das Familienoberhaupt kräht Anweisungen zu seinen zwei fetten Enkelkindern herüber, die mit drei Einkaufswagen Straßensperren auf dem Gang errichten. Das hier ist Krieg, kein Killefit: Drei Mädchen in bunten Röcken grapschen wahllos nach allem, was eine bunte Plastikkappe hat. Oma belagert den pickligen Verkäufer, reißt ihm die unausgepackten Waren direkt aus der Hand. Ich stoße ein elchartiges Röhren aus, krähe „Bamboleoooo bamboleooo!“ und pflüge mit meinem Einkaufswagen alles um, was vor der Kasse herumkreucht. Ich verschanze mich in den folgenden Tagen in meiner Wohnung, linse nur ab und an misstrauisch hinter der Gardine hervor und quäle mich erst wieder vor die Tür, als mich mein Urlaubsende dazu zwingt.

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