Für seinen Film Schwarz auf Weiss hat sich Enthüllungsjournalist Günter Wallraff als Afrikaner verkleidet. Steffen Köhn nimmt dies zum Anlass für eine kleine Kulturgeschichte des Blackface.

Günter Wallraff hat wieder einmal zugeschlagen. Nach dem er bereits als türkischer Gastarbeiter, als Bild-Redakteur, und als Call-Center-Mitarbeiter undercover unterwegs war, hat seine Rolle als Kwami Ogonno, in der er 14 Monate durch Deutschland gereist ist, in den letzten Monaten für große Diskussionen in den Medien gesorgt. Wallraff hat sich wie immer viel Arbeit gemacht, um sein Mediengesicht einmal mehr hinter einer Maske zu verstecken: Mit Sprühtechnik aufgetragene braune Schminke, dunkle Kontaktlinsen und ein falscher Afro sollten es ihm ermöglichen, am eigenen Leibe den Alltagserfahrungen der afrodeutschen Bevölkerung nachzufühlen. Im Gegensatz zu seinen bisherigen Rollen, und daraus rührt ein Gutteil des medialen Gegenwindes, der Wallraff derzeit ins Gesicht bläst, reiht er sich mit dieser Verkleidung jedoch in eine seit Jahrhunderten praktizierte Darstellungstradition ein: das sogenannte Blackface, eine Theater- und Unterhaltungsmaskerade, in der ein weißer Darsteller in die Rolle eines Schwarzen schlüpft. Karikierende oder stereotypisierende Darstellungen von Afrikanern kennt man in Europa schon aus der frühneuzeitlichen Karnevalstradition. Der niederländische Zwarte Piet (schwarzer Peter) war ursprünglich eine schwarzgesichtige Teufelsgestalt (angeblich aus der Niederländischen Antillen stammend), mit der man unartigen Kindern Angst machte. Auch Shakespeares Othello wurde bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ausschließlich von dunkel geschminkten europäischen Schauspielern gegeben. Während das Stück selbst keinerlei rassistische Vorstellungen transportiert (der „Mohr von Venedig“ war von Shakespeare als Maure angelegt, zur abwertenden Bezeichnung für einen Afrikaner entwickelte der Begriff sich erst später), ist dies einer Theaterkonvention zuzuschreiben, die für schwarze Darsteller lange Zeit keine Auftrittsmöglichkeiten vorsah.

Zu einer dauerhaften Bühnenerscheinung wurden schwarz geschminkte Weiße erst in den heiter-rassistischen Minstrel-Shows, die ab den 1830er Jahren vom Süden der USA ausgehend ihr weißes Publikum mit Parodien afroamerikanischer Lieder und Tänze unterhielten. Kurze sketchartige Szenen karikierten das Leben auf den Plantagen des Südens sowie das Verhältnis der schwarzen Sklaven zu ihren weißen Herren. Diese immens populären Shows müssen als erste genuin amerikanische Theaterform gesehen werden. Ihre Darstellung der schwarzen Amerikaner als faul und abergläubisch, aber auch als musikalisch und mit einer natürlichen Athletik gesegnet, gebaren Vorurteile und Klischees, die bis heute im Umlauf sind, auch weil für viele Nordamerikaner die Minstrels den ersten Kontakt mit Aspekten afroamerikanischer Kultur darstellten.

Zur konventionalisierten Maskerade dieser Shows gehörten neben der Schminke aus Ruß oder Schuhcreme auch aufgemalte dicke rote Lippen und eine Wollperücke. Eben diese Assoziationen erweckt auch Wallraffs Verkleidung: Das schrillbunte Hemd im Ethno-Look, die unselige Afro-Perücke und der 70er-Jahre-Schnäuzer zeigen, welche Vorstellungen Wallraff von afrodeutscher Lebenswirklichkeit hat. Die von ihm verkörperte Figur ist eine aus der Zeit gefallene Vogelscheuche, der zu begegnen man sich allerhöchstens in den Niedriglohnsektoren von Gastronomie oder Tourismusgewerbe vorstellen könnte.

In den einzelnen Szenen der Nummernrevue bringt Wallraff seine Negerpuppe auch stets zielsicher an jene Orte, an denen sich die höchste Fremdenhass-Trefferquote erwarten lässt. Der schwarze Wallraff taucht im Fanbus Cottbusser Fußballhooligans auf, will in Schrebergärten und Hundevereinen Mitglied werden, sich auf dem Ordnungsamt in Rosenheim der Jägerprüfung unterziehen und in Gummersbach mit der Senioren-Wandergruppe Brombeeren pflücken. Stets bewegt er sich aufdringlich in jene Bereiche deutschen Lebens hinein, in die sich viele Einheimische nie freiwillig wagen würden. Die existentiellen Dimensionen seines großen Vorgängers John Howard Griffin erreicht Wallraffs Mummenschanz dabei nie. Griffin, ein weißer Journalist aus Dallas, bereist im Herbst des Jahres 1959, also zu Zeiten von Segregation und offener Diskriminierung in der Rolle eines Afroamerikaners den Süden der USA. Für seine Verwandlung entscheidet er sich gegen jede Theaterstaffage und lässt sich auf ein riskantes Experiment ein: Er rasiert sich die Haare und begibt sich in die Hände eines Dermatologen, der mit Hilfe von Medikamenten und intensiver UV-Bestrahlung seine Hautfarbe verändert. Seine Reiseerlebnisse sind traumatisch: er wird angestarrt, beschimpft und attackiert, würdelos behandelt, oft gelingt es ihm nicht einmal eine öffentliche Toilette zu finden, die er benutzen darf. Nach einigen Wochen ist Griffin so frustriert, dass er seine Medikamente für einige Tage absetzt. Seine Haut wird heller, er beginnt daraufhin wie ein Chamäleon die Hautfarbe zu wechseln, besucht Orte erst als Schwarzer, dann als Weißer. Als nach seiner Reise sein Buch Black like me veröffentlicht wird, ist der Aufruhr groß. Er erhält Morddrohungen, in Mansfield wird eine ihm nachgeformte Puppe verbrannt.

Integraler Teil von Griffins Reportage ist jedoch auch eine lange Serie von Interviews mit den politischen Köpfen des afroamerikanischen Widerstandes. Bei Günter Wallraff fehlt diese Perspektive völlig. Afrodeutsche scheint er sich nur als Opfer von Rassismus vorstellen zu können, obwohl es hierzulande doch zahlreiche schwarze Künstler, Intellektuelle und Politiker gibt, die durchaus das Wort in eigener Sache ergreifen. Wallraffs Projekt wirkt damit nicht nur paternalistisch und unzeitgemäß, es geht an den existentiellen Problemen schwarzer Deutscher, von denen auch prominente Afrodeutsche immer wieder berichten, völlig vorbei. Wallraffs Gier nach bizarren Szenen und Personal hat seinen Film unfreiwillig zur Kleinbürger-Horrorshow gemacht, die sich mit demselben arrogant-ironischen Gestus rezipieren lässt wie Borat oder die Filme von Michael Moore. Dass die Ideologie des Rassismus heute von offener politischer Diskriminierung in unterschwelligere, aber immer noch systemimmanente Formen gewandert ist, die auch in Ämtern, an Universitäten und im Bildungsbürgertum anzutreffen sind, dafür ist seine „Enthüllungsstudie“ blind. Diese Formen subtilerer rassistischer Diskriminierung lassen sich mit einem Blick auf die Fortentwicklung des Minstrel-Genres nachvollziehen: Denn schon kurz nach dessen erster Erfolgswelle waren es oft afroamerikanische Entertainer, die in die Maskerade des Blackface schlüpften. Da die Minstrel-Shows ihre einzige Auftrittsmöglichkeit darstellten, wurden sie selbst zu Miterzeugern und Vermittlern eines Systems aus rassistischen Klischees und Stereotypisierungen. Für den Kulturwissenschaftler John Strausbaugh ist dieses auch in der heutigen Pop-Kultur noch immer am Werk, auch dann, wenn die Vorurteile zum Teil eine positive Form angenommen haben: Wann immer weiße Künstler sexy (wie Mick Jagger oder Elvis), authentisch (wie Eminem) oder an eine deepe Musikkultur angeschlossen (wie das Frankfurter House-Projekt Arto Mwambe) wirken wollen, bedienen sie sich afroamerikanischer Performance-Stile, Tanzbewegungen oder Identitäten. Damit verfestigen sie die Idee von der inhärenten Qualität afroamerikanischer Kultur als musikalisch, spirituell, intuitiv und unintellektuell, die einem weißen Publikum vielleicht begehrenswert und faszinierend, auf jeden Fall aber immer fremd erscheint. Unter diesen kulturellen Voraussetzungen, unter denen dann beispielsweise auch das Wort „Nigger“ für weiße Hip-Hop-Hörer wieder zum benutzbaren Begriff geworden ist, bedarf es einer komplexeren Analyse, die rassistisch geprägte Vorurteile nicht nur in der ostdeutschen Provinz und beim Kölner Edeljuwelier auffinden will, sondern auch in den Medien und den Spielarten der Hoch- wie der Popkultur.

Category: Magazin, Relevanz

Tagged: Afrodeutsch, Black like him, Blackface, Günter Wallraff, , Steffen Köhn

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3 Responses

  1. Julio says:

    Super Analyse, warum erst so spaet (um gleich nochmal ein bisschen zu haten)?

  2. Nina says:

    Das ist ein im Heft bereits erschienener Artikel, also nur zeitverzögert gepostet, nicht aber spät veröffentlicht…

  3. Julio says:

    ah, alles klar.

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