In Hamburg kämpfen Kreative gegen die soziale Ausgrenzung in ihren Kiezen. Wenn sie ihre Rolle als Innovationstreiber nicht reflektieren, kann das in einem hässlichen Möbelstück enden, glaubt Helge Peters.

Ikea hatte ein Problem. Aus Protest gegen die schwedische Kolonisierung der Lebenswelt und aus Spaß an der Zweckentfremdung fanden sich „Ikea-Hacker“ im Internet zusammen, um Bauanleitungen für Särge aus Billy-Regalen, Lautsprecher aus Plastiksalatschüsseln und Esstische aus Bilderrahmen zu tauschen. Teils waren diese Hacks einfach nur skurril, teils waren sie tatsächlich origineller und billiger als echte Ikea-Möbel. Anstatt gegen die freche Aneignung seiner Marke vorzugehen, erkannte Ikea darin den breiteren Trend der Customization – und produzierte mit Bölsö einen Beistelltisch, der zur individuellen Veränderung einlädt. Die ursprünglich subversive Geste gebar einen neuen Markt.

Hamburg hat derzeit ein Problem mit Ikea. Anstelle des Künstlerhauses Frappant soll mitten in Altona ein riesiges Möbelhaus entstehen. Dagegen regt sich Protest, der nach dem Erhalt des von Künstlern und Kreativen besetzten Gängeviertels und der überwältigend positiven Resonanz auf das kritische Manifest Not In Our Name, Marke Hamburg auf fruchtbaren Boden fällt. Die Szenarien ähneln sich: In Berlin gingen Tausende gegen das Bauprojekt Mediaspree und für den Erhalt von Off-Kulturprojekten auf die Strasse, ein Bürgerentscheid brachte nahezu realsozialistische Zustimmungsergebnisse für die Forderung, der subkulturellen Szene am Spreeufer eine Chance zu geben.

Dabei müssen sich die originellen Hausbesetzer von heute nicht mehr als arbeitsscheue Systemfeinde titulieren lassen. Stadt und Presse lieben ihre Kreativen, haben Verständnis für deren Sorgen und vor allem ihren Richard Florida gelesen, den Vordenker einer der Wissensökonomie angepassten Stadtentwicklung. Die Kreativen reagieren prompt. Mit diesem neoliberalen Stadtmarketing wollen sie nichts zu tun haben, sie stellen die soziale Frage: durchmischte Kieze, billige Mieten, Freiräume sind ihre Forderungen. Als Standortfaktor einer Creative City der Kulturmanager und Art Directors würden sie sich nicht einspannen lassen. Dabei hatte Richard Florida nicht genau genug hingesehen, als er ein tolerantes Klima und hochwertiges Kulturangebot als Voraussetzungen für die kreative Stadt lobte.

Denn als der dänische Wirtschaftswissenschaftler Adam Arvidsson das Project Fox untersuchte, eine spektakuläre Marketingaktion von Volkswagen in Kopenhagen, stellte er fest, dass der Job der professionellen Kreativen immer weniger darin besteht, selbst Dinge zu kreieren. Vielmehr übersetzen sie die authentische, weil nichtkommerzielle Arbeit urbaner Underground-Akteure in den Kontext der Wertschöpfung. Das soziale Leben in den Nischen der Metropole selbst wird zur produktiven Ressource, die sich die Kreativwirtschaft aneignet. Bei Konsumenten, die des standardisierten Massenkonsums überdrüssig werden, braucht Affektmobilisierung eindrückliche, als authentisch wahrgenommene Momente mit Unterscheidungsqualität. Deshalb wirken American Apparel, Converse und Dove zeitgemäßer als Media Markt und L´Oreal. Diese Ökonomisierung der Differenz muss ständig aus Authentizitätsreservoirs schöpfen, die noch nicht von der Warenform glattgebügelt wurden – eben auch aus den „besetzten Häusern“ und „muffigen Proberaumbunkern“, aus den „Clubs in feuchten Souterrains“ und „leerstehenden Kaufhäusern“, von denen die Verfasser des Hamburger Manifests schwärmen. Oder aus den illegalen Open-Air-Raves und Clubs ohne Schanklizenz, für die Berlin so berühmt ist. Diese urbanen Zwischenräume sind eine notwendige Voraussetzung für den kreativen Part der postindustriellen Ökonomie des Wissens.

Als Netzwerk beschreibt sich diese neue Ökonomie, in der individuelle Akteure aus der Synthese differenter Interpretationen heraus profitable Innovationen schaffen. Sie entstand nicht zuletzt aus einer linken Kritik an der Entfremdung durch Fabrikkommando und Massenproduktion der 60er Jahre, die Alternativbewegungen mit ihrer Abneigung gegen Hierarchie und Konformität bereiteten ihr darauf den Boden. In einer jüngeren Dissertation mit dem denkwürdigen Titel What Strategic Management can learn from Social Movements wird der Manager dann auch als eine Art Bewegungsarbeiter entworfen, der Netzwerke gegensätzlicher Anspruchsgruppen zur kollektiven Aktion mobilisiert, gleich den sozialen Bewegungen, die im Grunde nichts anderes seien als „Issue Entrepreneurs“. Fatal für solche Netzwerke ist es, wenn wichtige Verbindungen gekappt und damit unersetzbare Cluster der Signalverarbeitung ausgegrenzt werden. Deshalb erfährt sich die Kritik der „unternehmerischen Stadt“, wie sie derzeit von den Hamburger Kulturarbeitern formuliert wird, nicht als Kritik der Ausbeutung, sondern der Ausgrenzung derer, die doch als Ressource für die Produktion authentischer Intensitäten gebraucht werden. Namentlich der Unterschicht, ohne die eine Bohème nicht zu haben ist. Die Selbstmarginalisierungsstrategie der Coolness ist auch auf den türkischen Spätkauf, die Hartz4-Eckkneipe und die Autonomenrandale für ihre Produktion einer rauen Echtheit des Unterschieds angewiesen. Authentizität entsteht nicht einfach so am Konferenztisch, sie muss sich als Opposition zum Verwertungsimperativ erfinden.

Dabei ist es gerade die Opposition, die im Sinne einer „widerspruchsorientierten Innovationsstrategie“, wie es im BWL-Jargon heißt, den Keim des Mainstreams von morgen in sich trägt. Die Stadtaktivisten von heute sind die Innovationstreiber einer Zukunftsökonomie, die hierzulande erst allmählich in die Gänge kommt und der mit Elbphilharmonie und Bürotürmen tatsächlich wenig geholfen ist. Selbst wenn die Aktivisten nicht die unmittelbaren Nutznießer dieser Produktionsweise sind, so sind sie doch auf dem besten Weg, ihr den Boden zu bereiten. Auch die Ikea-Hacker hatten keinen Bölsö im Sinn.

Category: Magazin, Relevanz

Tagged: Bölsö, , , Helge Peters, Ikea, Kreativwirtschaft

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5 Responses

  1. nbo says:

    das hier beschriebene problem ist natürlich nicht von der hand zu weisen – es ist allerdings auch den im artikel genannten “kreativen” in hamburg bewusst, und sie artikulieren auch die gefahr, dass ihr protest “umgenutzt” werden kann. außerdem sind sie nur ein teil der doch sehr viel breiter gefassten hamburger vernetzung RECHT AUF STADT, zu der mitnichten nur kulturarbeiterInnen zählen.

    die wirklich interessante frage wird im artikel nicht angegangen: wie können dissidenz und widerstand aussehen, die sich nicht vom system umnutzen lassen? oder bedeutet das fehlen der frage im artikel, dass der autor dissidenz und widerstand heute, 2010, für unmöglich hält? würde mich sehr interessieren.

  2. [...] hate-magazin [...]

  3. says:

    @nbo

    Wie ein Widerstand aussehen kann, der nicht integrierbar ist, weiß ich auch nicht so genau. Ich glaube das ist generell ein Problem des kybernetischen Kapitalismus, dass noch jede als Information verarbeitbare widerständische Geste zu Anpassungshandlungen des Systems führt.

    Aber ein Hinweis wird im Text schon gegeben, wie eine Opposition gestaltet sein könnte, die nicht als Motor des Zeitgeists funktioniert:

    “Deshalb erfährt sich die Kritik der „unternehmerischen Stadt“, wie sie derzeit von den Hamburger Kulturarbeitern formuliert wird, nicht als Kritik der Ausbeutung, sondern der Ausgrenzung derer, die doch als Ressource für die Produktion authentischer Intensitäten gebraucht werden.”

    Diese Ausbeutung, wie sie im verlinkten Paper von Adam Arvidsson ziemlich genau dargestellt wird, zu thematisieren wäre vielleicht ein Anfang.

  4. [...] auf dem Trip einer „Selbstmarginalisierungsstrategie der Coolness“, so das Berliner Magazin Hate, das F. zitiert. Weshalb wir die „Hartz-IV-Eckkneipe“ und den „türkischen Spätkauf“ [...]

  5. CS says:

    @Helge

    Na dann spar Dir doch den lehrerhaften Gestus, wenn bei der schlecht informierten Denunzierung der Hamburger Recht auf Stadt Bewegung nur solche Schlappheiten rauskommen: “Diese Ausbeutung, wie sie im verlinkten Paper ……. dargestellt wird, zu thematisieren”. Das iist die Forderung, zum lähmenden Schuldethikdiskurs der Nullerjahre zurück zu kehren. Dass solcher Protestantismus im Gewand linker Kritik von der Süddeutschen aufgegriffen wird ist ja kein Wunder – über diesen gut funktionierenden Diskursversorgungszusammenhang solltest Du mal nachdenken.

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